Tatjana portrait promir center centre ukraine


Tatjana, Psychologin, Leiterin von Promir, einem psychologischen Zentrum für die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Kriegstraumata


»Ich organisiere bei Promir die professionelle, psychologische Arbeit. Es gibt Einzelgespräche und wir bieten Seminare an. Wir entwickeln Projekte und ich versuche, unser Zentrum an unterschiedlichen, staatlichen Stellen zu präsentieren.
Ein Teil unserer Arbeit wird vom Staat bezahlt, aber es gibt auch Bereiche, wo wir als Freiwillige arbeiten. Das Verhältnis zu staatlichen Stellen wird langsam besser, da sie die Notwendigkeit unserer Arbeit erkannt haben und uns zum Beispiel bei den Räumlichkeiten unterstützen. Alle Therapeuten im Zentrum sind Gestalttherapeuten. Ich habe an sämtlichen Fortbildungen und Veranstaltungen teilgenommen, die in diesem Bereich angeboten werden. Angefangen habe ich mit meiner Arbeit im Hauptgebäude von Rinat Achmetow - dort gab es auch Spezialisten aus Russland und Israel, die uns als Supervisor zur Seite standen.
Russland verfügt infolge früherer Kriege über wesentlich umfangreichere Erfahrungen mit Kriegstraumatisierten als wir in der Ukraine. Gleichzeitig stehen wir in engem Kontakt zur Mohyla Akademie in Kyiv, von denen wir auch Unterstützung erhalten. Es finden bei uns Supervisionen von auswärtigen Experten statt und Intervision, wo wir unsere Kenntnisse untereinander austauschen. Unser Wissen haben wir entweder von Psychoanalytikern oder von Verhaltenstherapeuten erworben.
Die Kriegstraumata zeigen sich in vielfältigen Reaktionen bei den Betroffenen, zum Beispiel gibt es Menschen, die sehr sensibel auf laute Geräusche reagieren und deren ganzer Körper sich zusammenzieht. Es treten viele Ängste auf oder die Situation, dass sich Kinder an ihre Mutter klammern und die Mutter sie nicht alleine im Haus lassen kann.
Die Therapiedauer ist immer unterschiedlich, manche Menschen haben wir zwei Jahre betreut und mit der Mohyla Akademie in Kyiv hatten wir die Vereinbarung getroffen, dass es 12 Sitzungen für einen Klienten gibt. Es gibt aber auch immer wieder Ausnahmen.
Wir gehen in verschiedenen Stufen vor, um das Selbstvertrauen eines Kindes wiederaufzubauen. Es gibt logische und konstante Abfolgen in unserer Arbeit.
Zuerst arbeiten wir mit Sicherheit. Wenn wir uns anfangs mit einem Klienten treffen - ganz gleich ob Kind oder Erwachsener - ist es wichtig, dass wir uns immer im gleichen Raum zur gleichen Zeit treffen, damit die Klienten wieder an Sicherheit und Beständigkeit gewöhnt werden, zum Beispiel sollten bei Kindern die Spielzeuge, mit denen wir arbeiten, die gleichen bleiben und nicht immer wechseln. Was fühlt ein Kind während einer Schießerei?
Angst, Furcht und Horror. Also die Möglichkeit, für das Kind einen sicheren Raum aufzubauen, ist die Grundlage dafür, dass man zu einem späteren Zeitpunkt mit den Kindern ins Gespräch über tiefer liegende Dinge kommt. Später konzentrieren wir uns in unserer Arbeit mehr auf die Sensibilität und versuchen, diese den Kindern wieder zurückzugeben und zu vermitteln. Das Kind fängt dann an, wieder Ideen und Pläne für die Zukunft zu entwickeln und es kann ruhiger über Dinge erzählen, die in seiner Vergangenheit passiert sind. Vielleicht gelingt es dem Kind dann, die Sachen, die geschehen sind, besser in die Geschichte einzubauen und einen Zusammenhang herzustellen. Wenn das Kind ruhiger über das Geschehene sprechen kann, kommen wir auch an einen Punkt, wo das Selbstvertrauen wieder zurückkommen kann.
Damit wir als Therapeuten selbst ruhig und stabil bleiben, ist es wichtig, dass wir wirklich professionelle Hilfe bekommen. Wir sprechen untereinander viel darüber, wie wir unsere Persönlichkeit behalten können und nicht unser Vertrauen verlieren. Wir unterstützen uns und bilden eine Gemeinschaft, es ist im Grunde eine Art psychologische Körperpflege, die wir betreiben. Ich habe von den Kindern gelernt, spontan zu reagieren und das zu tun, was ich wirklich will.
Wenn ein Klient uns nicht mehr braucht, gibt uns das ein positives Feedback und bestärkt uns in unserer Arbeit. Wir bieten auch Familien Hilfe, die jemand verloren haben und häufig sind die Eltern und Verwandten nicht in der Lage, mit den Kindern darüber zu sprechen.
In unserer Gesellschaftskultur ist das Reden über den Verlust eines Menschen noch nicht so akzeptiert, sondern man versucht eher, die Kinder von solchen Ereignissen fernzuhalten und sie nicht damit zu konfrontieren, zum Beispiel wird gesagt, dass jemand weggeflogen ist. Bei Kindern ist die Psyche noch plastischer und formbarer, deswegen gibt es auch viele Möglichkeiten, damit zu arbeiten.
Das gelingt aber nur, wenn das Kind auch die Möglichkeit hat, die Wahrheit zu erfahren. Wenn das Kind nicht die notwendigen Informationen bekommt, fängt es an zu fantasieren.
In seiner Fantasiewelt denkt sich das Kind vielleicht Dinge aus, die nicht passiert sind, und die ursprünglichen Ängste werden noch verstärkt. Der Punkt ist also, dem Kind wirklich die Wahrheit zu sagen. Viel hängt in dieser Hinsicht vom Alter des Kindes ab und von der inneren Einstellung und Bereitschaft der Erwachsenen, darüber zu reden.
Als Psychologen wollen wir die Dinge nicht rekonstruieren, sondern beschäftigen uns nur mit den Fakten, also zum Beispiel die Mutter oder ihr Körper sind nicht mehr da.
Wir versuchen, den Kindern diese Tatsache in der Gegenwart klarzumachen. Wir beschreiben dem Kind nicht die Situation, sondern sagen nur, sie lebt nicht mehr, sie ist tot.
Das Kind sollte den Prozess von Leben und Tod verstehen und bezüglich der Situation, was passiert ist, gehen wir mit den Kindern nicht an den Ort des Geschehens, außer wenn es der ausdrückliche Wunsch des Kindes ist und es darüber sprechen möchte.
Wir haben Erfahrungen gemacht mit Menschen, die unterschiedlichen Konfessionen angehören und versuchen mit allen zurechtzukommen und keinen Wettbewerb anzufangen. Uns besuchen auch Menschen aus der Gemeinde und von der Kirche und nehmen an Fortbildungen oder einem Training teil. Wir sagen jedem das Gleiche, unabhängig davon, ob er religiös ist oder nicht, nämlich dass unser psychologisches Zentrum gegründet wurde mit dem Ziel, das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen zu verbessern und die psychologische Kultur weiter zu entwickeln, damit sie anerkannt wird. Wir sagen nicht, du musst es so machen, sondern wir zeigen nur einen Weg auf, was möglich ist. Wir stehen in keinem Wettbewerb zu anderen Möglichkeiten, die versuchen, mit dem Leben zurechtzukommen. Wir versuchen behutsam, unsere psychologischen Fähigkeiten und Kenntnisse einzubringen.
Mit moderaten Religionsvertretern bin ich übereingekommen, dass sich die Dinge, die sie machen, und unsere Arbeit ergänzen können. Radikale oder sehr religiöse Vertreter würden uns überhaupt nicht kontaktieren, sie sind von dem gerettet oder zufrieden, woran sie glauben oder wovon sie überzeugt sind.
Mit Journalisten haben wir häufig schon schlechte Erfahrungen gemacht. Als der Krieg begann, fragten sie uns nach Adressen von betroffenen, traumatisierten Kindern, um diese dann ins Fernsehstudio einzuladen. Wir haben uns sehr dagegen gestellt, aber Journalisten haben mit Tricks über andere Organisationen Kontakt zu solchen Kindern bekommen. Dabei hatten wir viel Zeit damit verbracht, die Medienvertreter auf mögliche Gefahren hinzuweisen.
Wenn man die Kinder vor eine Fernsehkamera zerrt, löst man nicht die Probleme, sondern man zerreißt die Kinder förmlich und wir haben später wieder mit den Folgen zu tun. Deswegen bin ich nicht damit einverstanden.«
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