müll
Ostia, Rom

Schon 1975 warnte Pier Paolo Pasolini in seinem Essay Vom Verschwinden der Glühwürmchen vor den Folgen der Industrialisierung in Italien.
Rund 30 Jahre später widmete der Journalist Roberto Saviano in seinem Bestseller Gomorrah der illegalen Müllentsorgung ein eigenes Kapitel. Seit den '70 Jahren wurde von einem Netzwerk aus Mafia, Industrie und Politik systematisch Giftmüll und toxische Industrieabfälle aus Italien und Teilen Europas (Schweiz, Frankreich, Deutschland) auf illegalen Deponien in Süditalien vergraben oder verbrannt. Teile des Giftmülls wurden zudem als Baustoff oder Dünger wieder vermarktet.
Die italienische Umweltorganisation Legambiente spricht von zehn Millionen Tonnen hochgiftigem Industriemüll, der seit 1990 auf diese Weise im Großraum Neapel entsorgt wurde und den Boden, das Grundwasser und die Luft verseucht. Gleichzeitig belegen medizinische Studien eine deutliche Zunahme von Krebserkrankungen und ein Auftreten von Missbildungen bei Neugeborenen in der Provinzen Neapel und Caserta.
Neben der illegalen Müllentsorgung an Land entwickelte sich Italien zusätzlich ab den '90 Jahren zum logistischen Drehkreuz für die Giftmüllentsorgung auf See. In diesem Zusammenhang berichtet Legambiente von mindestens 40 verschwundenen Schiffen im Mittelmeer.
Hunderte Fässer mit Giftmüll und radioaktiven Abfällen wurden außerdem über Italien nach Somalia, Malawi, Zaire, Sudan, Eritrea, Algerien und Mozambique verschifft. Als Ende 2004 die Tsunamiwellen auf die somalische Küste trafen, wurden etliche Fässer mit Giftmüll vom Meeresboden auf den Strand gespült.
Was aber sind die Gründe, dass sich Teile einer ehemals sehr fruchtbare Kulturlandschaft in eine hochtoxische Giftmülldeponie verwandelten?
Für den Journalisten Roberto Saviano ist an erster Stelle der internationale Wettbewerb verantwortlich, da er zu einem Preisverfall bei landwirtschaftlichen Produkten führte und die heimischen Bauern der ausländischen Konkurrenz nicht mehr gewachsen waren. Um überhaupt noch Gewinn zu erwirtschaften, verkauften die Bauern ihren Grund und Boden an die Mafia und damit nahm die illegale Müllentsorgung ihren Lauf.
Professor Massimo Scalia von der La Sapienza Universität in Rom, der zwei Untersuchungsausschüsse zur illegalen Müllentsorgung geleitet hat, sieht die Gründe in Italiens Geschichte.
Einerseits – so Professor Scalia – haben die Gegenreformation und das Konzil von Trient die Macht der katholischen Kirche in Italien zementiert. Ethik und Moral wurden folglich nur noch von der Kirche definiert und die individuelle Verantwortlichkeit ging verloren.
Andererseits gab es in Italien – im Gegensatz zu Frankreich oder England – keine Revolution und damit konnte sich bis heute keine Bürgergesellschaft entwickeln. Diese beiden historischen Tatsachen führen in Italien dazu, dass sich die Menschen nicht für die Folgen ihres Tuns verantwortlich fühlen.
Für Scalia ist die ganze Müllgeschichte ein historischer Beweis für genau dieses Verhalten und er fügt noch hinzu: »Du wirst in Italien kaum jemand finden, der sagt, ich bin verantwortlich.«
<<    >>

home