-
- Petros Markaris (Schriftsteller), mit seinem Kater Gian, Athen
Herr Markaris, Sie haben schon frühzeitig in Ihren Kriminalromanen schonungslos und offen über die Zusammenhänge und Ursachen der Krise in Griechenland geschrieben, was eigentlich die Aufgabe eines Journalisten ist. Gab es solche kritischen Berichte auch in der griechischen Presse?
Petros Markaris: Ja, es gab schon Berichte über die Krise und die Ursachen der Krise. Das Problem der Presse ist, dass sie immer den politischen Alltag verfolgen will und sich manchmal dadurch so weit beeinflussen lässt, sodass die richtigen Ursachen und was unter der klaren Ebene liegt, nicht unbedingt mit einbezogen werden.
Bei mir war es so, dass ich immer versucht habe zu verstehen, wieso es so weit gekommen ist und wo die Fehler liegen, nicht nur der politischen Klasse, sondern auch der einfachen Leute.
Gerne wird die Presse als vierte Gewalt in einer Demokratie bezeichnet. Welche Rolle spielen die Medien in Griechenland und gibt es eine Veränderung in der Berichterstattung infolge der Krise?
P.M.: In den Medien ganz allgemein – und nicht nur in Griechenland – hat sich vieles geändert. Was wir jetzt unter Medien verstehen, das ist Fernsehen und Internet. Die Presse in Griechenland leidet sehr stark darunter. Das Potenzial der Presse hat beträchtlich nachgelassen. Anderseits ist aber die Berichterstattung im griechischen Fernsehen dermaßen skandalorientiert, dass man dort keinen klaren Blick bekommt. Und das ist auch im Internet so.
Was verstehen Sie unter der Kultur der Armut, die es – wie Sie schreiben – in Griechenland vor dem Beitritt zur EWG gab?
P.M.: Also Griechenland war im Laufe seiner neugriechischen Geschichte ein armes Land; Reichtum war den Griechen praktisch unbekannt. Sie beherrschten eine Lebensweise, die es ihnen immer erlaubt hat, in der Armut anständig zu leben und auch wegen der Armut ein kulturelles Niveau zu entwickeln, das vor allem in Bezug zu den Werten, die eine Gesellschaft braucht, sehr hoch war. Was die Griechen nicht beherrscht haben, das war die Kultur des Reichtums, denn der Reichtum hat auch eine Kultur.
Und das hat auch damit zu tun, dass Griechenland – wie alle Balkanländer – Teil des Osmanischen Reiches gewesen ist. Die Folge war, dass Griechenland weit weg von der Renaissance blieb und keinen Einfluss von der Aufklärung bekam und ohne diese beiden Säulen kann von einer Kultur des Reichtums nicht die Rede sein.
In den frühen Essays von Albert Camus heißt es: ›In der Armut liegt eine Einsamkeit, aber es ist eine Einsamkeit, die jedem Ding seinen Wert verleiht.‹ Finden Sie Ihre Kultur der Armut in dieser Beschreibung wieder?
P.M.: Ja, im Großen und Ganzen schon. Ich meine, es ist wichtig zu klären, was man unter Einsamkeit versteht. Es gab auch eine starke Solidarität und es gab eine ganz starke und enge Beziehung der Familienmitglieder untereinander. Die Familie war die Grundlage fürs Überleben.
Ich sage immer, der große Unterschied, nicht nur in Griechenland, sondern im ganzen Süden ist, dass die Familie der Kern der nationalen Einheit ist.
Sie schreiben, dass die Krise in Griechenland eher eine politische als eine finanzielle Krise ist. Sehen Sie inzwischen strukturelle Veränderungen in der Politik?
P.M.: Nein, leider nicht. Es ist für mich auch fast unverständlich, wieso die politische Klasse Griechenlands nach wie vor mit diesen alten Methoden und dieser abgespielten Mentalität weitermachen will. Das ist wirklich sehr enttäuschend und auch sehr gefährlich.
Die TROIKA Auflagen – also Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen – haben die soziale Schere in Griechenland noch weiter geöffnet. Wie sollen die Menschen Vertrauen in dieses Land entwickeln vor dem Hintergrund der großen Vermögensunterschiede und dem Abbau des Sozialstaates? Oder noch allgemeiner, wie kann sich unter diesen Umständen ein sozialer Gemeinsinn entwickeln?
P.M.: Es ist wahr, dass die Schere sich geöffnet hat. Aber was wirklich falsch gewesen ist, das war die Zerstörung des Kleinbürgertums und des Mittelstandes in Griechenland. Das war der große Fehler und das hat viel mit den Regierungen in Griechenland zu tun, denn sie haben nie verstanden, dass man den Mittelstand und das Kleinbürgertum finanziell nicht erdrosseln darf. Das ist es genau, was geschehen ist.
Griechenland hatte keine großen Unternehmen, hier gab es kein Phillips oder Siemens. Es war immer der Mittelstand und die kleinen Unternehmen, die die Wirtschaft dieses Landes zusammengehalten haben. Wenn man diese Basis zerstört, dann ist alles weg. Und das haben die Politiker nicht verstanden und es wäre nicht so schlimm geworden, wenn man von Anfang an die Reformen entschiedener angepackt hätte. Aber jetzt liegen der Mittelstand und das Kleinbürgertum brach und man weiß nicht, wie man weitermacht.
Und wenn man immer sagt, Wachstum, dann sage ich, wo sind denn diese Unternehmen, die dieses Wachstum erwirtschaften können.
Den sozialen Gemeinsinn gibt es nur als kleinste Einheit in der Familie, das ist alles.
Welche wirtschaftliche Perspektive sehen Sie für Griechenland?
P.M.: Ich glaube nicht, dass dieser illusionäre und falsche Optimismus noch lange anhalten wird. Wer in Griechenland investieren will, das bleibt noch eine offene Frage. Denn seien wir ehrlich, es gibt heute Länder und Staaten in Afrika und Asien, die günstiger sind als wir. Und das Problem ist, wie kann man Griechenland so weit bringen, dass es auch attraktiv für neue Investitionen ist.
Trotzdem gibt es Bereiche, wo das machbar wäre, z.B. im Tourismus und im Seehandel.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt nach wie vor über 50 Prozent. Welche Reaktion beobachten Sie bei jungen Griechen gegenüber der älteren Generation?
P.M.: Am Anfang war es so, dass alle weg wollten, egal wohin. Ab Mitte 2012 hat sich das zum Teil geändert. Es gibt eine Minderheit, die bleibt und kämpft. Das ist neu und das ist gut. Diejenigen, die geblieben sind, finden auch Bereiche, wo sie arbeiten können, vor allem im Bereich des Internets und der Biokulturen.
Ich glaube, dass noch nicht die Zeit gekommen ist, wo die jüngere Generation ihre Eltern zur Rechenschaft zieht, aber das wird kommen. Einmal wird es so weit sein, dass die Jüngeren zu den Älteren sagen, setzt euch mal hin liebe Väter und Mütter und sagt uns, was ihr alles falsch gemacht habt.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten gerade die Schule in Griechenland beendet, wie würden Sie sich entscheiden: Hierbleiben oder weggehen aus diesem Land?
P.M.: Heute würde ich sagen bleiben. Denn wenn man bleibt und wenn man bereit ist zu kämpfen, dann wird man auch Mittel und Wege finden, um zu überleben. Ich kenne viele junge Leute, die das machen, z.B. kenne ich zwei Brüder, die eine Internetreiseagentur haben, welche ein Riesenerfolg ist.
Man muss erstens nur kämpfen können und zweitens muss man verstehen, dass man es nicht mehr alleine schaffen kann. Also, das Zusammenkommen ist für die jungen Leute sehr wichtig.
Vielen Dank.
<< >>