manuela carmena portrait
Manuela Carmena, Bürgermeisterin von Madrid

Frau Manuela Carmena, vor einem Jahr sind Sie über das Netzwerk ›Ahora Madrid‹ und mit Unterstützung der Sozialisten zur Bürgermeisterin von Madrid gewählt worden. Was hat sie motiviert, sich für die Tätigkeit als Bürgermeisterin zu bewerben und haben Sie sich durch ihre Arbeit als Bürgermeisterin verändert?

Manuela Carmena: Eigentlich wollte ich nicht in die Politik gehen und es hat mich Überwindung gekostet, aber meine junge Gruppe ›Ahora Madrid‹ brauchte eine Vertreterin. Ich bin schon früh in Rente gegangen und das war wie ein Paradies. Als Bürgermeisterin habe ich jetzt allerdings dieses Paradies verloren.
Auf der einen Seite trage ich große Verantwortung und es gibt viel Arbeit, andererseits bekomme ich auch viel zurück, z. B. Zufriedenheit und Glück bei meinen Begegnungen mit Menschen im Rathaus oder in der Metro.

Von Anfang an haben Sie einen anderen Politikstil eingeführt: Privilegien, wie z. B. kostenlose Theaterkarten oder Opernbesuche haben Sie abgelehnt, Sie haben freiwillig Ihr Gehalt gekürzt und benutzen den öffentlichen Nahverkehr auf ihrem Weg ins Rathaus. Wie haben andere Politiker auf diese Entscheidung reagiert und welche Erfahrungen machen Sie mit den Bürgern, die ihre Bürgermeisterin in den Metro treffen können?

M.C.: Wenn ich die Metro auf dem Weg zur Arbeit benutze, dann verhalten sich die Leute mir gegenüber sehr höflich, respektvoll und niemand belästigt mich. Zum Beispiel werde ich nicht gestört, wenn ich lese, sondern die anderen Fahrgäste warten, bis ich den Kopf anhebe, um mich anzulächeln.
Nur zweimal habe ich bis heute negative Erfahrungen in der Metro gemacht - ich wurde dort persönlich angesprochen und offen kritisiert.
Im Gegensatz zu mir denken andere Politiker, dass sie besonders geschützt sein sollten, was ich nicht so sehe. Der Bürgermeister ist nur ein Nachbar. Und warum soll ein Politiker mit festem Job und Einkommen solche Vorteile haben wie z. B. freie Eintrittskarten, Dienstwagen oder bevorzugte Abfertigung am Flughafen? Ein Politiker braucht keine Privilegien und ist nur ein Mensch unter vielen.
Andere Politiker mögen meine Einstellung nicht und werfen mir vor, dass ich eine Populistin sei, aber warum? Sie können ihren Vorwurf nicht mit Argumenten begründen. Für mich war mein Leben immer so und nur weil ich jetzt politische Verantwortung trage, muss ich mich nicht verändern.

Gestartet sind Sie - ähnlich wie Thessalonikis Bürgermeister Yiannis Boutaris oder Reykjaviks Ex-Bürgermeister Jón Gnarr - als politische Außenseiterin ohne Parteikarriere. Sehen Sie ihre Rolle als Außenseiterin als eine Chance, einmal neue und außergewöhnliche Ideen zu probieren und wenn ja, welche liegen ihnen besonders am Herzen?

M.C.: Die heutige Parteienlandschaft ist in einer Krise. Mir gefallen die Schriften der älteren Philosophen wie Simone Weil oder André Breton, die sich schon in ihrer Zeit kritisch zu Parteien geäußert haben. Die heutigen Parteien sind wie Verbände, wenig demokratisch und sehr losgelöst von der Gesellschaft. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt darüber nachzudenken, wie Parteien sein sollten. Es gibt heute andere Organisationen und Gruppen, die die bisherigen Parteien ersetzen, dynamischer und moderner agieren und näher an den aktuellen Kommunikationsmedien sind.
Was ich mache, ist sehr persönlich und menschlich und kommt nicht so sehr aus einer politischen Struktur. Ich versuche mit meiner Art, den anderen Parteien einen Spiegel vorzuhalten. Weil ich parteiunabhängig bin, kann ich relativ vorbehaltlos mit den Vertretern der Parteien reden.

Eines Ihrer wichtigsten Anliegen war es, die sozialen Auswirkungen der Krise zu entschärfen. Was haben Sie in dieser Hinsicht erreichen können?

M.C.: Die sozialen Ansprüche der Gesellschaft sind für mich als Bürgermeisterin ein besonderes Anliegen.
Wenn das Rathaus zum Beispiel Eintrittskarten für Sportveranstaltungen erhält, dann geben wie diese an Schulen weiter. Wir unterstützen Suppenküchen und den Bau von Sozialwohnungen. Die Beiträge für Sportzentren und Kindergärten haben wir reduziert. Wir investieren in die Sanierung von Altersheimen, Straßen, Parks und Schulen und versuchen für diese Arbeiten Firmen zu gewinnen, denen es an Aufträgen mangelt.
Dadurch konnten in diesem Jahr 11 000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Haben Sie als Vertreterin von ›Ahora Madrid‹ neue Möglichkeiten für die Menschen in Madrid geschaffen, damit diese möglichst direkt an politischen Entscheidungen beteiligt werden und die Distanz zwischen Politik und Bürgern verringert wird?

M.C.: Im Rathaus verfolgen wir eine soziale Politik. Wir haben eine Website eingerichtet, auf der die Bürger Vorschläge einreichen und abstimmen können. So haben sich zum Beispiel bei einer Abstimmung über Baumaßnahmen am Plaza de España 25000 Bürger beteiligt.

Seit dem Ende der Franco Dikatur bis zum Beginn der Eurokrise wurde Spaniens Politik immer von zwei politischen Gruppen dominiert, die sich unversöhnlich gegenüberstanden: linke Sozialisten und die konservative Volkspartei. Hat sich im Laufe der Eurokrise das ideologische Lagerdenken eher verstärkt oder gibt es im Gegenteil nun eine konstruktivere Zusammenarbeit der politischen Gruppen?

M.C.: Genau wegen dieser starren Haltung sind die letzten Wahlen gescheitert. Es konnte sich bis heute keine absolute Mehrheit für eine Regierung bilden. Es fehlt also nach wie vor die Zusammenarbeit der politischen Gruppen und Parteien.
Im Augenblick sieht man in der Politik, dass es den großen Parteien schwerfällt, auch kleinere Parteien zu respektieren. Wobei das Rathaus in Madrid eigentlich ein gutes Vorbild ist, da hier eine Minderheit regiert.
(Anmerkung: Die Sozialisten, die Manuela Carmena unterstützt haben, sind nicht an der Stadtregierung beteiligt).

Letztes Jahr trat das Gesetz ›Ley Mordaza‹ in Kraft, das hohe Bußgelder für unangemeldete Proteste vorsieht und Einschränkungen der Pressefreiheit zur Folge hat. Wie beurteilen Sie als Vertreterin der Plattform ›Ahora Madrid‹ dieses Gesetz?

M.C.: Die Sicherheitsgesetze der Stadt wurden immer schon dazu benutzt, die gesellschaftlichen Freiheiten und die Zivilgesetze zu kontrollieren. Meine Vorgängerregierung hat in dieser Hinsicht sehr versucht, diese Kontrolle zu verstärken. Man kann die Strafen aber anfechten und bis jetzt sehe ich noch nicht so starke Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten.
Ich finde es nicht ungewöhnlich, dass solche Gesetze in Zeiten der Krise erlassen werden, um die Situation zu kontrollieren. Meine Hoffnung ist allerdings, dass sich mit einer neuen Regierung diese Gesetze auch wieder entschärfen lassen.

Als ich 2013 meine Arbeit über spanische Jugendliche machte, sagte mir die 17 jährige Celia: »Ich finde die Politiker hier nur noch peinlich, sie sind für mich Diebe. Wir wählen die, weil wir ihnen vertrauen und damit sie für uns Entscheidungen treffen und dann machen sie für uns nichts, sondern nutzen ihre Position nur für sich selbst aus.« Verstehen Sie die Enttäuschung dieser jungen Spanierin und welche Entscheidungen haben Sie bislang getroffen, damit sich die Situation für junge Spanier in Madrid verbessert?

M.C.: Ja, ich verstehe diese junge Spanierin. Wir versuchen besonders technologische Weiterbildung für Jüngere zu fördern, weil das von den Firmen verlangt wird.
Es ist schwierig, gegen das Bild des Politikers als Lügner und Schwindler anzukämpfen. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist der persönliche Kontakt und dass die Politiker wirklich mit den Menschen sprechen. Wir veranstalten zum Beispiel offene Treffen in verschiedenen Stadtvierteln von Madrid, wo die Bürger teilnehmen können und ich ihnen zuhöre. Man merkt, dass die Leute bislang noch nicht an so etwas gewöhnt sind, aber diejenigen, die teilgenommen haben, sagen es weiter und dadurch entsteht Hoffnung.
Zum Beispiel haben wir mit der Stadtreinigung eine Imagekampagne entwickelt: Die Viertel sind jetzt sauberer und die Leute fühlen sich besser behandelt und erkennen, dass Politik auch etwas bewirken kann.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele und Wünsche, die Sie gerne als nächstes verwirklichen möchten?

M.C.: Mein nächstes Ziel ist es, einen Wohnungspark zu errichten. Es fehlen Sozialwohnungen, weil meine Vorgängerregierung die kommunalen Wohnungen privatisiert und verkauft hat. Wir möchten versuchen, hier Abhilfe zu schaffen.

Die Gier und den Egoismus der Menschen sieht der spanische Autor Rafael Chirbes als die eigentlichen Ursachen der Krise in Spanien. Hat die Krise in Spanien dazu geführt, dass sich die Mentalität oder Denkweise der Menschen verändert hat?

M.C.: Ich traue mich nicht, es so deutlich zu sagen. Geld alleine macht nicht glücklich und ich hoffe, dass die Bürger an den sozialen Veränderungen teilnehmen und das dieses für sie ein stimulierendes Abenteuer ist.
<<    >>

home