english deutsch KILIAN FOERSTER
Varvara, 16 Jahre (bitte auch hier sehen)
»In den letzten beiden Jahren bin ich viel in eine Schauspielschule gegangen, aber es fanden dort leider keine Auftritte statt und deswegen habe ich dort aufgehört.<< >>
Ich habe dann neben der Schule eine Musikschule besucht und bin schnell in die erste Klasse aufgenommen worden. Jetzt konzentriere ich mich auf Gesang, klassisch, Jazz und R&B.
In der Zwischenzeit habe ich auch eine Reise nach Sievierodonetsk gemacht, wo ich noch nie zuvor gewesen bin. Auf der Fahrt habe ich viele große Abraumhalden gesehen, wie es sie auch in meiner Heimat in Luhansk und Snezhnoe gibt.
Dieser Anblick war so vertraut, dass ich weinen musste, weil ich meine Heimat so vermisst hatte. Auf der Fahrt nach Sievierodonetsk habe ich viele militärische Checkpoints bemerkt und zerstörte Gebäude gesehen und in Kramatorsk waren russische Inschriften an Gebäuden mit ukrainischen Fahnen überklebt.
Meine Großmutter lebt in der DNR-Region* und besucht uns jedes halbe Jahr in Kyiv. Sie steht mir sehr nahe und ich freue mich, wenn sie bei mir ist.
Auch meine Verwandten sind in der DNR-Region geblieben, weil sie dort eine Arbeit haben oder eine Wohnung besitzen. Sie haben sich daran gewöhnt, dass dort Schießereien stattfinden. In meiner ehemaligen Schule dort hat man auch Schutzräume eingerichtet, wo sich die Kinder in Sicherheit bringen können. Früher hatte ich diesen Räumen Tanzunterricht.
Ich möchte dort eigentlich nicht mehr leben, da ich mein Leben auf 10 Jahre vorausgeplant habe. Aber natürlich möchte ich meine Freunde und Verwandten dort besuchen können, die ich schon seit drei Jahren nicht mehr gesehen habe.
Ich habe in Kyiv auch zwei Freundinnen gefunden, die aus meiner alten Gegend kommen und wir treffen uns, erinnern uns gemeinsam und sprechen darüber, wie uns das Leben in Kyiv verändert hat. Die Menschen in Kyiv verstehen mein Empfinden nicht so richtig und können es nicht nachvollziehen, wenn ich traurig werde.
Als ich in eine neue Schule in Kyiv kam, war ich anfangs wirklich traurig. Mich nannten sie eine Separatistin und das war sehr unfreundlich, denn wenn ich eine Separatistin wäre, dann wäre ich niemals nach Kyiv gekommen. Aber irgendwann hat das aufgehört und die anderen haben vergessen, dass ich von woanders herkomme, und haben sich an mich gewöhnt. In Snezhnoe hatte ich ein eigenes Zimmer, das im chinesischen Stil eingerichtet war und so etwas habe ich jetzt nicht mehr und ich vermisse das sehr.
Meine Tapeten, meine Bücher und Spielsachen fehlen mir, manchmal bringt mir meine Großmutter etwas von meinen Büchern oder Spielsachen nach Kyiv.
Ich möchte noch sagen, dass man keine Witze über ein Kind machen sollte, wenn es von woanders her neu in eine Stadt kommt, weil es die Kinder wirklich trifft und diese sich verschließen können.
Ich bin froh, dass meine jetzige Schule keine früheren Zeugnisse verlangte, denn als ich hier ankam, hatte ich keine Papiere bei mir. Mich stört auch, dass viele Vermieter ihre Wohnungen nicht an Vertriebene vermieten, weil sie glauben, dass man nicht genügend Geld oder eine Arbeit hat, um die Miete zu bezahlen.
Nach der Schule möchte ich eine Schauspielschule besuchen, weil ich gerne Schauspielerin werden möchte.«
* DNR: Donezkaja narodnaja respublika, die Volksrepublik Donezk ist eine selbst ernannte Republik auf Teilen der Oblast Donezk in der Ukraine.