english deutsch KILIAN FOERSTER
Roman, ehemaliger Minenarbeiter im Bergbau und jetzt freiwilliger Koordinator in einem Sommercamp
»Bis 2014 habe ich im Bergbau gearbeitet und gleichzeitig war ich als Freiwilliger in einem Camp für vom Krieg betroffene Kinder tätig. 2014 habe ich gemerkt, dass meine Bergbauarbeit und die Arbeit im Camp zu viel für mich waren und habe dann im Bergbau aufgehört.<< >>
Beim Umgang mit Kindern, die schwere Kriegstraumata erfahren haben, hole ich mir Rat von Spezialisten, da ich in dieser Hinsicht keine spezielle Ausbildung habe. Seit 2015 beschäftigen wir uns sehr stark mit Kindern, die direkt an der Frontlinie leben.
Genau hat diese Arbeit am 3. Juni 2015 begonnen, als es zu Angriffen aus den besetzten Gebieten auf die Städte Mar'yanka und Krasnogorowka gekommen ist. Seitdem waren wir direkt von den Schießereien betroffen und erkannten, dass es notwendig war, die Kinder aus den betreffenden Gebieten zu evakuieren. Wir haben diese Evakuierung damals selbst organisiert und ein Camp in Sviatohirsk eröffnet, in dem eine Gruppe von Kindern von uns betreut wurde.
Die ersten Kinder aus der grauen Zone* bzw. direkt von der Frontlinie, mit denen wir zu tun hatten, waren sehr verschlossen. Man konnte Aggressionsausbrüche unter ihnen beobachten, manche konnten ihre Gefühle nicht nach außen tragen und waren sehr in sich gekehrt und verschlossen. In den ersten Tagen haben wir nur darauf gewartet, dass die Kinder wieder einmal lächeln. Wir haben mit ihnen gespielt und versucht, dadurch ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die Eltern dieser Kinder verstehen manchmal nicht, wie stark die Probleme ihre Kinder treffen. Manche Eltern denken, dass die Kinder die Gefahr selbst erkennen, einschätzen und sich in Sicherheit bringen können und dass die Kinder sich an die Schießereien gewöhnen werden.
Aber ich denke, dass solche Eltern die Situation falsch einschätzen, denn für mich ist es nicht normal, wenn Kinder wissen, woher die Geschosse kommen, die sie treffen können. Im Grunde bräuchten auch diese Eltern eine psychologische Unterstützung, damit sie die Lage richtig einschätzen. Manche Eltern fallen in Depressionen oder versuchen mit Alkohol, diese Probleme zu lösen. Und weil die Eltern ihr eigenes Kriegstrauma nicht verstehen, geben sie es an ihre Kinder weiter.
Ich denke, dass diese unbewältigten Kriegstraumata von den Kindern weitergetragen werden, sodass der Krieg im Leben der Kinder ein sehr langes Echo haben wird. Die Kinder haben also ihre eigenen Probleme plus die Probleme ihrer Eltern, die sie verarbeiten müssen. Am Wichtigsten für mich im Camp ist, dass die Kinder untereinander gesunde und normale Beziehungen aufbauen, also freundliche Beziehungen, in denen sie sich gegenseitig unterstützen und von denen sie selbst auch profitieren können.
Zuerst versuchen wir in den Camps, wieder Sicherheit für die Kinder aufzubauen und müssen dabei berücksichtigen, dass dieses nicht an allen Orten oder in der Natur möglich ist. Weiter achten wir darauf, laute Geräusche zu vermeiden, also das Platzen von Luftballons. Ich habe es selbst in einer Gruppe erlebt, dass ein Kind sich auf den Boden setzte und hysterisch anfing zu schreien, als ein Luftballon platzte. Ich denke, dass der Kontakt mit Medien und Fernsehen die Kinder sehr negativ beeinflussen kann, da sie die Dinge, die sie dort sehen, für gegeben und wirklich halten und nicht so hinterfragen, wie etwas, was sie in einem Buch gelesen haben.
Dazu kommt, dass es auch nützliche Informationen in den Medien gibt, aber es gibt niemand, der den Kindern den Umgang mit den Medien beibringt, also was von Bedeutung ist und was nicht. Am sinnvollsten wäre es, wenn die Eltern ihren Kindern einen richtigen Umgang mit den Medien beibringen könnten. Aber es sind nicht viele, die wirklich gekonnt die Medien nutzen können und es gibt im sowjetischen die ironische Frage: Bist Du freundlicher als das Fernsehen?
Alle diese Informationen im Fernsehen und Medien verursachen in den Köpfen der Menschen einen großen Brei und jeder sucht sich das aus, was ihm am besten passt. Deswegen bin ich skeptisch, ob die Kinder vom Bildschirm her ein objektives Bild der Wirklichkeit erhalten.
Vor diesem Hintergrund haben wir in Mar'yanka 2016 versucht, ein Medienzentrum aufzubauen. Dort sollten Kinder Informationen, die sie selbst wahrgenommen hatten, weitergeben. Die Kinder bekamen Unterricht von Journalisten, wie man mit Informationen umgeht, sie aufbereitet und für andere präsentiert. Aber leider haben sich die Kinder an erster Stelle für Film- und Videoanimationen interessiert und nicht so sehr für geschriebene und gedruckte Sachen, wie wir zunächst erhofft hatten.
In einem neuen Camp versuchten wir noch einmal, die Kinder an Mediennutzung heranzuführen. Dieser zweite Versuch kam bei den Kindern sehr gut an und die, die am Unterricht teilgenommen haben und wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt sind, schicken uns nun ihre Wahrnehmungen und Beobachtungen aus dem Alltag. Wir planen, diese Beobachtungen der Kinder in einer Zeitung zu veröffentlichen und auch online über YouTube zugänglich zu machen. Insgesamt haben wir 10 Städte oder Orte, aus denen wir Informationen durch die Augen der Kinder erhalten, aber mit diesem Projekt befinden wir uns noch am Anfang.
Wir arbeiten auch mit den Menschen in den besetzten Gebieten zusammen. Es gibt dort Menschen, die die Realität sehen und andere, die sich ihre Meinung nur übers Fernsehen bilden. Aber auch auf unserer Seite gibt es das, zum Beispiel gibt es hier Leute, die darauf warten, dass sie von der Gegenseite befreit werden und es ist traurig, so etwas zu sehen.«
* Graue Zone: das Gebiet direkt an der Frontlinie, wo ein hohes Risiko von Schusswechseln oder militärischen Auseinandersetzungen besteht.