english deutsch KILIAN FOERSTER
Natascha, Psychologin bei Promir, (siehe auch hier)
»Im Augenblick des Traumas gibt es im Kind eine Dissoziation. Das Kind schiebt das Ereignis von sich weg und möchte nicht darüber reden - es ist eine Art psychologische Hilfe, die das Kind in dieser Situation rettet.<< >>
Wenn ein Kind versteht, wird es von sich aus darüber reden, wir müssen es nicht bewusst dahintreiben. Wir müssen nur warten und die Bedingungen schaffen, dass das Kind das Ereignis akzeptiert.
Das Wichtigste ist, dass wir die Kinder immer in die Wirklichkeit zurückbringen, also zum Beispiel die Mutter ist nicht hier und es ist besser, zu dem Platz zu gehen, wo sie beerdigt ist.
Das Kind lebt nach dem Trauma in einer Fantasiewelt und stellt sich vor, dass die Mutter irgendwo anders oder nicht weit entfernt ist. Unsere Aufgabe ist es, hier in der Realität den Eltern und Kindern zu helfen, die Realität zu akzeptieren.
Trauerprozesse dauern lange, mindestens ein Jahr und häufig auch länger. Diese Arbeit ist eine sehr einsame und detaillierte Arbeit.
Ich hatte im klinischen Alltag den Fall eines Klienten, der mir sagte, dass er nicht weinen könne, weil ein Priester ihm gesagt habe, dass er nicht weinen dürfe. Das Weinen - so der Priester - sei schlecht für den Verstorbenen und binde ihn an die Erde, so dass er nicht in den Himmel aufsteigen könne. Als Psychologin weiß ich aber, dass die Trauerprozesse nicht stattfinden können, wenn die Menschen nicht weinen dürfen. Das Weinen ist eine ganz normale Reaktion, und wenn jemand das Bedürfnis danach hat, sollte man ihn weinen lassen. Ansonsten verschließen sich die Leute, werden zu Stein, fühlen sich unwohl und reagieren unsensibel. Die Anstrengung, den Schmerz nicht auszudrücken, sondern sich ihm zu verschließen, macht alles noch schlimmer. Wenn ein Mensch weint, dann akzeptiert er meistens auch die Situation und was passiert ist. Das Weinen ist, wie wenn sich die Person noch einmal durch das Ereignis bewegt. Irgendwann akzeptierte der Klient meine Position und nicht mehr die des Priesters und konnte dann weinen.
Ich möchte mich mit meiner Arbeit nicht gegen die Kirche stellen, sondern versuche dem Klienten nur etwas vorzuschlagen, das ihm hilft und die Wahl treffen die Menschen letztlich selbst.
Wenn ein Kind einen Menschen verliert, befindet sich jedes Kind in einer Situation von Angst, Verlassenheit und Unverständnis.
Unsere Aufgabe ist es dann, mindestens einmal pro Woche eine sichere Umgebung für das Kind zu schaffen. In allen Stadien, durch die wir Kinder in einer einjährigen Therapie begleiten, ist es wichtig, solche sicheren Räume zu haben. Und es ist wichtig, immer mit der gesamten Umgebung des Kindes zu arbeiten, denn es gibt in der Verwandtschaft und Umgebung des Kindes auch andere Personen, die sich um das Kind kümmern können. Andere Personen stellen für das Kind ein anderes Sicherheitsgefühl dar als die eigene Mutter oder der eigene Vater.
Es kann seitens des Kindes gegenüber anderen Personen zu unvorbereiteten Reaktionen kommen, zum Beispiel Aggressivität, Sturheit, Passivität oder Weinen. Das Kind testet mit solchen Reaktionen die andere Person, ob sie das Kind in der jeweiligen Situation unterstützt oder ihm hilft. Unsere Aufgabe ist es, zu erklären, zu unterstützen und den Kindern zu helfen, alleine ihren Weg zu gehen.
Die Trauer ist eine Art Akzeptanz des Ereignisses; wenn wir also erkennen, dass das Kind die Trauer annimmt, dann wissen wir, dass das Kind die schwierigste Phase geschafft hat.
Entscheidend ist auch, dass ein Kind kein Selbstvertrauen finden kann, wenn es von Erwachsenen umgeben ist, die selbst auch kein Selbstvertrauen haben, denn diese Personen werden ihre Unsicherheit nur an die Kinder weitergeben.«