katja-portrait


Katja, 16 Jahre, lebt in Mariupol


»Meine Klassenlehrerin hat mir von Yellow Bus erzählt, dass sie ein Sommercamp für junge Menschen mit Interesse an Film und Journalismus organisieren. In diesem Sommercamp habe ich den Beruf Journalismus kennengelernt.
Es ist nicht so einfach, wie man es sich vorstellt. Journalismus ist ein sehr intensiver und gefährlicher Beruf. Aber trotzdem möchte ich gerne Journalistin werden. Mir gefallen die Emotionen, die Bewegung und die Erschütterungen, mit denen man in diesem Beruf konfrontiert ist.
Die meisten Informationen hole ich mir aus dem Internet - wie viele andere Menschen auch. Ich gehe in unser Kulturzentrum und erzähle von den Dingen, die ich gelesen oder gesehen habe. Fernsehen schaue ich kaum, weil ich keine Zeit dafür habe. Ich verbringe meine Zeit in der Schule und danach habe ich noch Workshops.
Über Mariupol hat es auch Falschmeldungen gegeben. Ich lese z. B., dass alles gut sei und es keine Schießerei gäbe, aber dann rufe ich meine Tante in Horliwka an und sie sagt mir, dass die Situation dort sehr schlimm ist. Sie sagt, dass dort jeden Tag etwas passiert und dann frage ich mich, wie kann ich den Nachrichten trauen. Wenn ich mit meiner Tante telefoniere, dann bekomme ich mit, wie dort die Panzer rumfahren.
Als der Krieg hier 2014 begann, da habe ich mit meinem Körper den Krieg selbst erlebt und ich habe darüber geschrieben. Wir sind in die Stadt gefahren und dort gab es Granatenbeschuss. Unser Vater hat uns alle ins Auto gesteckt und innerhalb von fünf Minuten sind wir durch halb Mariupol gerast. Wegen der Detonationen sind wir sehr unruhig gefahren und während der Fahrt waren wir schockiert von den Erschütterungen. Wenn unser Vater uns damals nicht so schnell dort rausgebracht hätte, dann wären wir schon längst tot.
Am nächsten Tag sind wir in die Stadt Staraya Yalta umgezogen, die drei Stunden Autofahrt von Mariupol entfernt. Dort sind wir einen Monat geblieben und dann sind wir nach Mariupol zurückgekommen und haben hier wieder Quartier bezogen. Nun leben wir seit fünf Jahren in Mariupol.
Als Außenstehender kann man vielleicht den Krieg nachvollziehen, aber meine Mutter hat als Krankenschwester gearbeitet und was sie und ihre Kollegen gesehen und erlebt haben, das kann man kaum begreifen. Andere Menschen sagten zwar, dass gebombt und geschossen wurde, aber sie waren nicht persönlich betroffen, weil sie weit weg lebten. Wir haben kein Haus mehr und sind nur mit unseren Schwimmsachen und einer kleinen Tasche weggefahren. Solange ein Mensch den Krieg nicht selbst durchgemacht hat, kann man nur schwer verstehen, was Krieg wirklich bedeutet.
Ich habe auch Freunde in den besetzten Gebieten. Wir unterhalten uns und erzählen uns, wie es uns geht, was dort passiert und was es für Neuigkeiten gibt. Ich frage sie und sie erzählen mir auch alles.
Wir haben in unserem Kulturzentrum auch über den Krieg gesprochen und das war für mich sehr schwierig. Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich über den Krieg sprechen konnte. Nun sind schon drei Jahre vergangen und alles erscheint wieder gut, aber manchmal während des Schulunterrichts kommt es vor, dass ich weinen muss, weil es so schwierig ist, über den Krieg zu sprechen.
Jetzt möchte ich mich gerne mit etwas Positivem beschäftigen, vielleicht mit Mode oder Design. Ich bin in den letzten Jahren auch ruhiger geworden und akzeptiere eher die Dinge. Früher war ich emotionaler, aber jetzt bin ich ein ruhigerer Mensch auch wegen des Krieges. Wenn ich Horliwka besucht habe, dann gab es auch Probleme an den Checkpoints. Wir waren acht bis neun Stunden unterwegs und unter der Woche konnte es passieren, dass wir drei bis vier Stunden an den Checkpoints warten mussten. Manchmal ist es auch vorgekommen, dass wir nicht passieren konnten, weil zu viele Autos vor uns gewartet haben.«
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