vera-portrait


Vera, 19 Jahre, aus Lobatschovo, lebt jetzt in Novoajdar


»Ich bin im Dorf Lobatschovo auf die Welt gekommen, welches ungefähr 100 km von Novoajdar entfernt ist, wo ich heute lebe.
Mein altes Dorf befand sich direkt an der Frontlinie. Früher war unser Dorf vollständig und es gab einen Fluss, der durch unser Dorf floss. Aber der Krieg hat das Dorf geteilt und jetzt gibt es zwei Dörfer. Das eine Dorf liegt auf der ukrainischen Seite und der andere Teil befindet sich in den besetzten Gebieten. Ich habe damals die Schule in den besetzten Gebieten besucht.
In meinem Dorf konnte ich die Schule bis zur 10. Klasse besuchen, aber aufgrund des Krieges bin ich nach Novoajdar gekommen und habe hier die 11. Klasse abgeschlossen. In meinem Dorf gab es keine 11. Klasse mehr für mich. Meine Lehrerin dort hat mir gesagt, dass Yellow Bus zu uns kommt. Es war interessant, weil wir gelernt haben, wie man kleine Filme herstellt, und sie haben mit Kindern gearbeitet.
Yellow Bus hat uns auch vorgeschlagen, einen Film zu machen und die Mädchen, die hier mit mir studieren, haben selbst ein Drehbuch geschrieben und wir haben zusammen einen kleinen Film gedreht. Bei Yellow Bus habe ich an erster Stelle gelernt, meine Angst zu besiegen, vor einem großen Publikum zu sprechen und ich habe mich mehr geöffnet und bin nicht mehr so schüchtern wie in der Vergangenheit. Und es war für mich interessant, die Rolle einer Regisseurin oder Drehbuchschreiberin einzunehmen.
Über das, was ich persönlich im Krieg erlebt habe, möchte ich nicht sprechen.
Zuerst war es einfach nur interessant zu erfahren, was an anderen Orten durch den Krieg passierte. Wir sind spazieren gegangen und haben abends die Explosionen gehört oder haben das Granatfeuer gesehen. Am Anfang fand ich das spannend, aber dann waren wir in unserem Dorf betroffen und jedes Geräusch hat mir Angst gemacht. Mit der Zeit haben wir uns an die Kriegsgeräusche gewöhnt. Aber wenn es ein Feuerwerk gibt, dann bekomme ich immer Angst. Selbst heute noch, obwohl das, was passiert ist, schon fünf Jahre vorbei ist. Bislang habe ich keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen.
Ich glaube kaum, dass jemand, der den Krieg nicht selbst erlebt hat, begreifen kann, was wir erfahren haben. Und die Menschen werden nicht über den Krieg nachdenken, solange sie den Krieg nicht selbst erlebt haben.
Als ich die Möglichkeit hatte, meine Freunde in den besetzten Gebieten zu besuchen, da haben wir uns immer gut unterhalten. Aber jetzt sprechen wir kaum, weil sie sagen, du bist auf der anderen Seite und hast es gut und kannst einfach weiterleben. Und dann ist es für mich nicht so angenehm, sie zu sehen und zu treffen. So haben sich untereinander auch viele Kontakte verloren.
Ich schaue mir auch Nachrichten an, aber im Grunde ist das nicht so interessant. Mich würden die Nachrichten dann interessieren, wenn es wirklich einen Fortschritt geben würde. Aber in unserem Land ist alles so langsam und unsicher und ich habe wenig Vertrauen, dass es besser wird. Also, dass wieder eine Zeit kommt, wo alles wieder gut ist bei uns. Vor dem Krieg hatte ich eine viel bessere Zeit, ich hatte morgens und abends keine Angst beim Spazierengehen und es kam ganz selten vor, dass Menschen verschwunden sind oder dass unverständliche Ereignisse im Land passierten.
Heute versuchen sogar manche Leute in diesem Land noch, Profit aus dem Krieg zu ziehen. Viele Jugendliche sind wegen des Krieges auch regelrecht verrückt geworden und machen alles, was sie wollen. Wenn ich zuhause bin, versuche ich abends nicht rauszugehen, auch wenn es hier jetzt keine Soldaten gibt. Dieser Ort liegt dennoch sehr nah an der Frontlinie. Einerseits interessiert mich in den Nachrichten, was in anderen Dörfern passiert, aber andererseits kommen dann auch immer meine eigenen Erinnerungen wieder und dann fühle ich mich schlecht. Ich möchte nur, dass der Krieg schnell zu Ende geht.
Nachrichten, die ich zuerst mit meinen Erinnerungen verbinde, sind für mich geschrieben Nachrichten, da die Fernsehnachrichten in meinen Augen nicht so glaubhaft sind. Wenn ein Journalist zu uns kommt und du ihm etwas sagst und sie es filmen und aufnehmen, wird es am Ende ganz anders vermittelt, wenn es im Fernsehen gezeigt wird. Und du fragst dich, warum die Journalisten überhaupt zu uns kommen, wenn sie danach etwas ganz anderes erzählen und am Ende sind die Menschen völlig verwirrt. Die Menschen öffnen sich für einen Journalisten und erzählen ihre Wünsche, aber schließlich wird etwas anderes daraus gemacht und das ist nicht angenehm.
Ich verarbeite das, was mir passiert ist, an erster Stelle mit meiner Mutter - wir sprechen miteinander wie Freundinnen und ich kann mit ihr über meine Erlebnisse reden. Es gab aber auch Momente, die ich mit niemanden teile und die ich nur für mich behalte. Manchmal möchte ich nur alleine sein, auf einem Stuhl sitzen und mit einer Wand reden.
Ich möchte noch etwas sagen, nämlich dass es am wichtigsten ist, nicht gleichgültig zu sein. Vielmehr sollte man sich untereinander helfen und in jeder Situation unterstützen. Vor dem Krieg habe ich das noch nicht verstanden, aber wegen des Krieges sprechen wir nicht mehr mit unseren Verwandten in den besetzten Gebieten und das ist für uns sehr schwierig. Auch schon vor dem Krieg waren unsere Gespräche nicht immer einfach, aber infolge des Krieges ist der Kontakt völlig verloren gegangen.
Manchmal fehlen einfach Menschen, die einen verstehen. Es kann auch ein Fremder sein, wenn er Verständnis für dich zeigt und dich in schwierigen Situationen unterstützt, dann fühlst du dich sofort besser.«
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