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- »Zuhören, hinsehen und den Anderen in einer klaren und ehrlichen Art darüber berichten.«
Alessia Cerantola (Mitglied von IRPI) über den Sinn von Journalismus
Was ist IRPI?
Alessia: IRPI (Investigative Reporting Project Italy) wurde offiziell in Rom im Juli 2012 gegründet und ist in seiner Form bislang einmalig in Italien. Einige von uns haben sich vorher auf verschiedenen Konferenzen kennengelernt und waren sehr angetan von ähnlichen Organisationen im Ausland, z.B. ICIJ in den USA. Also fragten wir uns, warum wir in Italien nicht etwas Ähnliches aufbauen.
IRPI bestand anfangs aus 7-8 Mitgliedern, daneben gab es noch weitere Mitarbeiter und externe Unterstützer.
IRPI beinhaltet auch ein Netzwerk, sodass jeder, der uns kontaktieren oder etwas vorschlagen will, dazu auch die Möglichkeit hat.
Wir gehen bei unserer Arbeit unterschiedlich vor, gewöhnlich versuchen wir zuerst, die Finanzierung für unsere Arbeiten sicher zu stellen, z.B. mithilfe von Stiftungen.
Dann arbeiten wir in einem Team von 2-10 Leuten aus Italien und aus dem Ausland an einem Thema. Wenn wir unsere Arbeit beendet haben, veröffentlichen wir sie, da wir aber kein Verleger sind, müssen wir nach entsprechenden Medien suchen. Unsere Strategie ist es, verschiedene Medien aus verschiedenen Ländern zu finden und dann gleichzeitig unsere Arbeit in diesen Medien zu veröffentlichen.
Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Dich dazu gebracht hat, als investigative Journalistin zu arbeiten?
Alessia: Ja, nämlich Japan und die Fukushimakatastrophe und das Tsunamiunglück. Japan war schon vor der Fukushimakatastrophe mein Schwerpunkt und ich habe dann gesehen, dass eine Berichterstattung, wie ich sie bislang gemacht habe, nicht ausreichend ist.
Es war mir wichtig, tiefer in die Materie einzudringen und zu sehen, was noch hinter den Nachrichten ist.
Mit der investigativen Arbeit konnte ich mein Interesse an Japan verstärken, ich habe mehr Antworten auf meine Fragen gefunden und auch andere Möglichkeiten, meine Arbeit umzusetzen.
Wie gelingt es IRPI, einerseits so weit wie möglich unabhängig zu bleiben und andererseits wirtschaftlich zu überleben?
Alessia: Das ist immer die große Frage.
Bei IRPI haben wir keine Werbung oder Unterstützung großer Unternehmen oder Banken, sodass wir vor allem auf die Stiftungen für investigativen Journalismus angewiesen sind.
Zurzeit ist IRPI noch nicht vollständig profitabel, sodass einige von uns andere Jobs nebenher haben.
Es gibt aber Geschichten, die wir unbedingt machen wollen und auch wenn wir nicht immer anfangs die notwendigen Mittel finden, versuchen wir trotzdem weiterzumachen. In den letzten Jahren hatten wir Glück, das Feedback auf unsere Arbeiten war gut und wir konnten die meisten Geschichten veröffentlichen.
Und seit letztem Jahr gibt es auch ausländische Medien, die uns kontaktieren und uns Aufträge erteilen. Dieses Jahr haben wir den ersten Fonds der Open Society erhalten.
Italien belegt den 73. Platz von 180 Ländern auf dem World Press Freedom Index 2015 von ›Reporter ohne Grenzen‹.
Gleichzeitig verweist ›Reporter ohne Grenzen‹ auf einen Anstieg von Bedrohungen, körperlichen Angriffen und ungerechtfertigten Verleumdungsklagen gegenüber Journalisten in Italien.
Welche Erfahrungen habt Ihr in dieser Hinsicht gemacht?
Alessia: Glücklicherweise waren wir in dieser Hinsicht noch nicht betroffen. Natürlich sind viele unserer Themen sehr heikel, z.B. Korruption oder Mafia und wir rechnen auch jeden Tag damit, dass etwas passieren könnte.
Eine andere Sache ist noch, dass freiberufliche Journalisten und solche, die nicht zur sogenannten Elite – innerhalb der fest angestellten Mitarbeiter – gehören, nicht bezahlt werden und ihre Arbeiten nicht veröffentlicht werden und das ist auch eine Art von Zensur.
Man kann keinen Journalismus erwarten, wenn die Arbeit nicht honoriert wird.
Hat der sogenannte ›berlusconismo‹ die inhaltliche Form der Medien verändert?
Alessia: Ja, dramatisch. Im Ausland wird die gesamte Beeinträchtigung der Medien allein nur mit Berlusconi verbunden, aber für mich ist er nur die Spitze des Eisberges.
Seine und andere Medienkanäle sind voreingenommen und voll mit Infotainment und bedenklichem Journalismus. Auch vorher war der Journalismus nicht viel besser, aber als Folge des sogenannten ›berlusconismo‹ denken jetzt viele Leute, dass Journalisten ihre Arbeit überhaupt nicht mehr ehrlich und korrekt machen.
Aber – wie ich schon sagte – gibt es hinsichtlich der Pressefreiheit viele Hindernisse in Italien.
Ein Grund ist, dass wir keine Tradition eines auf Tatsachen basierenden Journalismus haben, sondern gewöhnlich eher Artikel in Kommentarform bevorzugen.
Wie gelingt es Dir, im Journalismus glaubwürdig zu bleiben, wo es keine festen Grenzen gibt zwischen Werbung⁄PR und Nachrichten?
Alessia: Wir haben keine Werbung, das ist der Unterschied. Also können wir auch in alle Richtungen arbeiten und ermitteln.
Hat die Wirtschafts- und Finanzkrise in Italien dazu geführt, dass mehr Journalisten nun Selbstzensur verüben, aus Angst vor einem Karriereknick oder dem Verlust ihres Arbeitsplatzes?
Alessia: Ja, absolut. Die Anzahl der Journalisten, die Selbstzensur ausüben, weil sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, ist gewachsen.
Laut Umfragen ist die Zahl der freiberuflichen Journalisten in Italien auf 60 Prozent gestiegen und sie werden überhaupt nicht oder völlig unterbezahlt, d.h. weniger als 5000 Euro Jahreseinkommen.
Welche Zukunft siehst Du für eine freie und unabhängige Presse in Italien?
Alessia: Ich würde nicht sagen, dass ich optimistisch bin, aber ich sehe durchaus positive Dinge.
Es gibt neue und kreative Leute, die sich hier gleichzeitig mutig mit dem System auseinandersetzen.
Und es gibt nun Leute, die verstehen, wo die Fehler im Journalismus in der Vergangenheit lagen und was heute im politischen System falsch läuft, besonders vor dem Hintergrund der engen Verbindung von Politik und Journalismus in Italien. Trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten, mit denen sie täglich konfrontiert sind, versuchen sie unabhängige Wege zu gehen. Also, es gibt Hoffnung.
Was war bislang Euer größter redaktioneller Erfolg?
Alessia: Die bislang größte, investigative Arbeit von IRPI befasste sich mit der afrikanischen Mafia.
Diese Arbeit wurde von zehn Journalisten (darunter vier IRPI Mitarbeitern) in sieben Monaten recherchiert und in vielen Ländern veröffentlicht.
Eine andere bedeutsame Geschichte war der Fall eines Carabinieri Polizisten aus Padua, der mehr als ein Dutzend Mädchen vergewaltigt hatte. In einem ersten Verfahren wurde er zu sechs Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt und es kommt – aufgrund unserer Arbeit – noch zu weiteren Verfahren gegen ihn.
Angesichts all der Schwierigkeiten, mit denen Du täglich als Journalistin kämpfen musst, was treibt Dich an, trotzdem weiterzumachen?
Alessia: (lacht) Wir sind verrückt.
Wir sehen die Ergebnisse unserer Arbeit und wir erkennen, dass unsere Arbeit auch tatsächlich eine Auswirkung hat. Es geht uns nicht so sehr darum, unsere Namen als Verfasser irgendwo zu sehen, sondern wir freuen uns vor allem über die Reaktion von Leuten, die sich für unsere Arbeit bedanken.
Das ist eine Befriedigung, die man nicht bezahlen kann.
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